Frau Noller, es ist Freitagmorgen um zehn, ist das Ihr erster Termin?
O nein, ich hatte eine Besprechung mit meinem Sekretariat, danach mit einer Arbeitsgruppe, die ein Papier zu Diversität vorbereitet. Es waren schöne Termine, das Diversitätspapier zum Beispiel ist eine kreative Arbeit.
Sind das typische Tage, in denen es von einer Besprechung in die nächste geht?
An den meisten Tagen ja, von morgens um sieben bis abends um acht: Gespräche mit den Mitarbeitenden, Abteilungsleitungen, Vorstandsmitgliedern, mit dem Sekretariat. An anderen Tagen bin ich in Gremien im ganzen Bundesgebiet unterwegs. Oder beim Netzwerken, wie jüngst beim Landesempfang der Grünen. Es sind lange Tage, aber die Arbeit macht Spaß und wir bewegen etwas.
Fast zwei Jahrzehnte an der EH. Woran erinnern Sie sich gerne?
Ich dachte lange, dass ich bis zu meiner Pensionierung an der Hochschule bleibe. Ich fühlte mich mit allem, was ich mitbrachte, gut aufgehoben. Die Diakoniewissenschaft, aber auch die praktische und feministische Theologie und die Zusammenarbeit mit Kolleg*innen aus unterschiedlichen Forschungsrichtungen war sehr bereichernd. Ich arbeitete in Gremien mit, gestaltete Forschungsfelder neu aus und unterrichtete mit großer Freude. Die Hochschule war zu Beginn meiner Tätigkeit kleiner, damals gab es kein Institut für Fort- und Weiterbildung, keines für Angewandte Forschung und keine Masterstudiengänge. All das haben wir gemeinsam aufgebaut und die Zahl der Studierenden gesteigert.
Aber die Atmosphäre an der EH war auch damals freundlich…
Manchmal war sie auch kontrovers. Als ich kam, lag der Beschluss des Oberkirchenrats vor, die Hochschule zu schließen und wir kämpften dafür, sie zu erhalten. Wir erweiterten das Profil, neue Studiengänge in Diakoniewissenschaft, Religions- und Gemeindepädagogik entstanden – orientiert an den Bedürfnissen von Landeskirche und Diakonie. Zudem hatte die EH mit der Reutlinger Hochschule fusioniert und beide mussten erstmal zusammenwachsen. Dieser Prozess, die Hochschule gemeinsam neu aufzustellen, ist gelungen. Sie hat bis heute ein sehr gutes Renommee.
Vermissen Sie sie?
Ja, natürlich. Vor allem die Gespräche mit den jungen Menschen, sie waren Herausforderung und Bereicherung zugleich. Ich las gerne die Hausarbeiten und Referate, ich mochte die Diskussionen in den Seminaren. Auch die interdisziplinäre Arbeit mit den Kolleg*innen.
Und doch haben Sie sich entschieden, dieses große Amt zu übernehmen.
Wenn Sie 18 Jahre an der Hochschule waren, dann haben Sie 36 Semester unterrichtet, 36 Semester Hausarbeiten korrigiert, 36 Semester Bachelorarbeiten korrigiert. Die zunehmende Bürokratie war ermüdend. Regelmäßige Evaluationen, Akkreditierungen, wir mussten ständig um den Erhalt der Hochschule kämpfen und gleichzeitig Forschungsprojekte durchführen. In den letzten Jahren wurde der Spielraum für eigene, auch ungewöhnliche Forschungen enger. Aber ich wurde nicht Vorstandsvorsitzende, um der Hochschule zu entfliehen. Für mich war es noch einmal die Möglichkeit, alles, was ich bisher gemacht habe, einzubringen in eine verantwortungsvolle Führungsaufgabe. Das ist erfüllend.
Diakonisches Werk Württemberg – was steckt dahinter?
In der Diakonie Württemberg arbeiten 50.000 Festangestellte und 35.000 Ehrenamtliche. Alle gemeinsam beraten, unterstützen und pflegen täglich 200.000 Menschen. Ich bin nicht direkt für alle verantwortlich, weil vieles in den Kreisdiakonie-Stationen geschieht und in diakonischen Einrichtungen, die eigene Leitungspersonen und Vorstandsvorsitzende haben. Aber für alle 1.400 Einrichtungen machen wir die politische Lobbyarbeit, Fachberatungen und Fortbildungen. Wir verantworten die strategische Richtung –Themen wie KI, Digitalisierung, Wirtschaftsberatung und fachliche Fragen. Wir sind zu dritt im Vorstand und haben etwa 300 Mitarbeitende in 230 Vollzeitstellen bei uns im Haus.
Auch das Diakonische Werk steht vor großen Herausforderungen.
Ja, der Sozialstaat wird infrage gestellt, die Kirchensteuereinnahmen gehen zurück, unsere Position in der Gesellschaft verändert sich. Wir müssen den Verband gemeinsam durch diesen Wandel führen und neu ausrichten. Ich empfinde es als eine Ehre, mich einzubringen mit allem, was mir die Hochschule mitgegeben hat.
Eine große Aufgabe. Sind Sie zuversichtlich?
Aus meiner Glaubensüberzeugung heraus weiß ich, dass wir uns voller Zuversicht unseren Aufgaben widmen und uns nicht entmutigen lassen sollten. Wir haben in der sozialen Arbeit und in den sinnstiftenden Glaubensinhalten große Ressourcen. Wir sind als Christ*innen Hoffnungsmenschen und sollten mit ermutigenden Perspektiven an die Arbeit gehen. Wenn wir das nicht tun, lassen wir uns in Dialoge ziehen, die uns nicht guttun und auch unserer Sache nicht guttun.
Wie können Sie sich erholen?
Meinen Job muss man lieben, anders geht es nicht. Man muss Verantwortung mögen. Meine Work-Life-Balance besteht darin, dass ich Work und Life in der Arbeit finde. Trotzdem bleibt noch Zeit für Spaziergänge und Radfahrten mit der Familie. Oder für ein Glas Wein bei Freunden. Ich gehe gern ins Konzert und in die Oper. Und ich lese viel.

